Werden Antidepressiva lange genug untersucht? Neue Studie – und reale Erfahrungen – werfen ernste Fragen auf
- Integramed
- 13. Mai
- 2 Min. Lesezeit
Von Dr. med. Georgia Brunner – Integrative Psychiaterin | Beyond Psychiatry

Einleitung
Antidepressiva gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten weltweit. Viele Menschen nehmen sie über Jahre oder sogar Jahrzehnte hinweg ein.Doch was wäre, wenn ich dir sage, dass die meisten klinischen Studien dazu nur acht Wochen dauern?
Eine neue Studie, veröffentlicht im medRxiv (Februar 2025), bringt gravierende Schwächen in der bisherigen Forschung ans Licht – und das, was ich täglich in meiner Praxis sehe, bestätigt genau das. Also werden Antidepressiva lange genug untersucht?
Die Studie: Was die Daten zeigen
Die Forscher analysierten über 250 randomisierte kontrollierte Studien zu Antidepressiva. Die Ergebnisse sind alarmierend:
Mediane Studiendauer: 8 Wochen
Typische Anwendungsdauer im echten Leben: 5 Jahre oder mehr
Nur 3,8 % der Studien untersuchten Absetzsymptome
Nur 18,9 % enthielten eine Tapering-Phase (Ausschleichen)
Nur 1,9 % betrachteten, wie es Patienten nach dem Absetzen der Medikamente psychisch geht
Kurz gesagt: Wir wissen viel darüber, wie Antidepressiva kurzfristig wirken – aber fast nichts darüber, was passiert, wenn man sie jahrelang nimmt oder versucht, sie abzusetzen.
Reale Erfahrungen aus meiner Praxis mit dem Ausschleichen von Antidepressiva:
Was ich täglich in meiner Praxis erlebe, spiegelt diese Daten wider. Zwei meiner langjährigen Patienten zeigen exemplarisch, wie schwierig das sein kann:
Einer nimmt seit über 5 Jahren Escitalopram, der andere Paroxetin
Beide versuchten mehrfach, die Dosis zu reduzieren oder die Medikamente abzusetzen
Dabei traten Stromschlag-ähnliche Empfindungen, Schwindel, Reizbarkeit, Schlafstörungen und emotionale Instabilität auf
Wichtig: Das waren keine Rückfälle der Depression – sondern Absetzsymptome, die zeigen, dass sich das Nervensystem an das Medikament gewöhnt hat und Probleme hat, sich wieder umzustellen.
Gerade Paroxetin ist inzwischen bekannt für ausgeprägte Absetzsymptome – aber viele Patienten erfahren das erst, wenn sie mitten im Entzug stecken.
Die Folgen
Der Unterschied zwischen kurzer Studienzeit und jahrelanger Anwendung hat weitreichende Konsequenzen:
Patienten verwechseln Absetzsymptome mit Rückfällen und nehmen die Medikamente unnötig wieder ein
Es fehlt an echter Aufklärung, wenn das Absetzen und Langzeiteffekte nicht thematisiert werden
Das Nervensystem kann eine physiologische Abhängigkeit entwickeln
Es gibt kaum standardisierte Leitlinien zum sicheren Ausschleichen
Dabei verändern Antidepressiva das Leben vieler Menschen zum Positiven – es geht hier nicht um Angst, sondern um Wissen und ehrliche Kommunikation.
Was muss sich ändern?
Damit wir Patienten langfristig gut begleiten können, brauchen wir:
Langfristige Studien, die der Realität entsprechen
Wissenschaftlich fundierte Tapering-Protokolle
Bessere Aufklärung von Ärzten und Patienten
Informierte Einwilligung, die auch das Absetzen berücksichtigt
Einen individualisierten Umgang mit Medikation – manche brauchen sie langfristig, andere sollten begleitet ausschleichen können
Mein Fazit
Ich bin keine Gegnerin von Medikamenten – aber ich bin eine Befürworterin von ehrlicher Aufklärung. Patienten haben ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu kennen, nicht nur die Werbebotschaft.
Wenn du selbst ein Antidepressivum einnimmst und über Langzeitgebrauch oder das Absetzen nachdenkst – du bist nicht allein. Es gibt Wege, dies sicher und begleitet zu tun.
Lasst uns offener über Absetzprobleme sprechen. Für eine Psychiatrie, die wirklich langfristige seelische Gesundheit unterstützt – und nicht nur Symptome unterdrückt.
Hast du selbst Erfahrungen mit dem Absetzen von Antidepressiva gemacht? Teile sie gern – oder leite diesen Beitrag weiter an Menschen, die davon profitieren könnten.
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